Logo

Das Innere Kloster

20. Januar 2021

OM C. Parkin, Initiator und Gründer des modernen Klosters Gut Saunstorf – Ort der Stille, spricht im Darshan über Tradition und Moderne, über die Vereinigung aller Wege und zum paradoxen Weg.

Frage: Meine Frage und Unklarheit bezieht sich auf den Begriff `das moderne Kloster´. Wir sprechen hier nicht von einem Kloster, welches einer bestimmten Konfession zugeordnet ist, und trotzdem sprichst du von Tradition. Was ist dieses moderne Kloster und von welcher Tradition ist die Rede?

Antwort: Auf der Buchrückseite von der Geburt des Löwen steht sinngemäß: Ich bin kein Traditionalist. advaita ist keine Tradition, sondern eine Zerstörung von Tradition, die Zerstörung von spiritueller Tradition, die Zerstörung eines spirituellen Weges, die Zerstörung von allem. Für so eine radikale Lehre sind nur wenige bereit. Nun ist es aber so, dass die Zerstörung von Tradition zu einer Neugeburt, zu einem Wiederzugang zur Tradition führt. Einfach deswegen, weil der Tod allein nicht existiert. Warum nicht?

Weil der Tod nur im Zusammenhang mit einer Neugeburt existiert. Das kann zwar der einfache Mensch – der Angstbesetzte, der Todesflüchtige – nicht erkennen, das ändert aber nichts daran, dass es so ist. Und dieses Gesetz, angewendet auf die Zerstörung von Tradition, bedeutet paradoxerweise eben auch, dass der Zugang zur Tradition wiedererweckt wird, nachdem sie zerstört wurde.

Diesem Gesetz folgend, habe ich beschrieben, dass nach der Realisierung des ‚advaita‘ der Zugang zur christlichen Quellenlehre auf natürliche Weise geöffnet wurde, einfach weil es sich bei diesem Zugang um einen offenen Kanal in der geistigen Welt jenseits aller begrenzten Anhaftungen jeder Glaubensreligion handelt. Das Erkennen dieses Kanals in der geistigen Welt hat sogar dazu geführt, dass ich wieder der katholischen Kirche beigetreten bin, was ja kein rationaler Geist auch nur annähernd begreifen konnte, weil er nicht verstanden hat, worum es da geht, da es um eine reine innere Handlung geht. Sie geschieht in der geistigen Welt, die systemisch ist, wo dann durch diesen Akt der Zugang zur Quellenlehre genährt wurde und wird. Das ist Tradition. Tradition in der spirituellen Lehre ist nichts anderes als der Zugang zur Quellenlehre, der durch alle Stufen kultureller, zeitlich gebundener Entwicklung gegangen ist und bis heute geht. All diese kulturellen Stufen relativer Erscheinung dieser Quellenlehre tragen bestimmte Facetten oder Färbungen in sich, die es wert sind zu betrachten.

Der zweite Aspekt des ‚modernen Klosters’ weist auf die Moderne hin. In der Bewusstseinsevolution würde ich dem, was die Moderne genannt wird, den Zustand des rationalen Bewusstseins zuordnen; also jener Bewusstseinszustand, der in der Masse der Menschen durch die sogenannte Aufklärung hervorgebracht worden ist. Es ist die Stärke und zugleich die Schwäche der Moderne, dass sie mit der Tradition bricht. Mit der Tradition zu brechen, das ist dem undifferenzierten Geist nur dadurch möglich, dass er das Kind mit dem Bade ausschüttet. Und das hat die Moderne auch getan, wie ich in dem Buch „Intelligenz des Erwachens“ beschrieben habe. Die Aufklärung brachte eine tabula rasa hervor: Nicht nur die begrenzten Formen von Glaubensreligionen wurden abgeschnitten, sondern die Bewusstseinsstufe des rationalen Geistes hat zunächst einmal bis zu einem gewissen Grad jede Form von Religion, jede Form von Spiritualität vernichtet. Eine der großen Schwächen der Aufklärung ist, dass sie nicht zwischen vorrationaler und nachrationaler Religion unterscheiden kann. Diese Unterscheidung ist im Horizont des aufgeklärten Menschen nicht möglich.

Das moderne Kloster ist eine Zusammenfügung dieser gegenläufigen Kräfte: der Tradition als einem Strom der beständigen Weitergabe und Weiterentwicklung der geistigen Flamme – und der Moderne, die auch im authentischen Sinne die Kraft zur vollkommenen Vernichtung des Alten hat. Wenn die Moderne auf diese Weise mit der Tradition verbunden ist, besitzt sie eine große Erneuerungskraft. Sie kann den überlieferten Muff von Jahrtausenden austreiben. ‚Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren‘, mit diesem Slogan ist die 68er-Bewegung aufgetreten.

Die Gegenläufigkeit von Tradition und Moderne ist ansatzweise bereits eine Umschreibung dessen, was in der integralen Lehre geschieht. Ich beschreibe sie als die höchste spirituelle Lehre, manchmal auch als ‚den paradoxen Weg’. Gegenläufige Kräfte, die sich äonenlang gemessen und einander widerstrebt haben, die äonenlang in verschiedenste Richtungen auseinandergestoben sind, werden wieder vereinigt. Die Vereinigung von Tradition und Moderne als ein Aspekt der integralen Lehre ist im Kern eine innere Hochzeit: eine Hochzeit im Bewusstsein der Menschen. Dass sie auch äußere Formen annehmen kann, versteht sich von selbst.

Der Bruch mit der katholischen Tradition in der Gesellschaft hat schwerwiegende Ausmaße angenommen; er zeigt sich etwa durch zigtausende von Kirchenaustritten jedes Jahr. Dies ist Ausdruck der Unvereinbarkeit des Bewusstseinszustandes der Moderne mit der spirituellen Tradition. Diese Unvereinbarkeit gibt Auskunft über die Unwissenheit der Traditionalisten genauso wie der Aufgeklärten. Diese Unwissenheit auf allen Seiten führt zu Brüchen. Sie zeigen sich in unserer modernen Gesellschaft, in der sich geistige Haltungen des Atheismus auf der einen Seite und Relikte religiöser Glaubensformen auf der anderen unversöhnlich gegenüberstehen. Man versucht sich zu arrangieren, indem man humanistische Werte als Schnittmenge in den Vordergrund schiebt und sich auf gemeinsame Menschlichkeit und gemeinsames Mitgefühl verständigt. Das ist gut gemeint, überwindet aber nicht wirklich die Unwissenheit.

Die Einkehr der spirituellen Tradition in die Moderne muss im Rahmen unserer eigenen Kultur geschehen. Es ist verständlich, dass sich Menschen seit den 60-er Jahren zunehmend östlichen Religionen zugewandt haben; sie glaubten, hierzulande keinen Zugang mehr zur Quellenlehre zu finden. Sie sind zu den Buddhisten gegangen und haben Zen-Meditation und andere Praktiken gelernt. Aber ganz gleich, welchen Ritualen, Gebetsformen und spirituellen Praxis sich jemand zugewandt hat: Wenn er im westlichen Kulturkreis geboren ist, muss er anerkennen, dass das Christentum die spirituelle Quellenlehre seiner eigenen Kultur ist. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob er das will oder nicht, ob er sich für einen Christen hält oder nicht, ob er Jahre und Jahrzehnte damit zugebracht, das zu verleugnen.

Deswegen erscheint es mir wichtig, den Zugang in der geistigen Welt zur Quellenlehre wieder zu öffnen. Dafür steht das Urchristentum, dafür steht natürlich Jesus Christus selbst. Wenn zunehmende Innenkehr die inneren Augen öffnet, ist es möglich, zu dieser geistigen Ebene wieder Zugang zu finden.
Was macht das mit dir, wenn du das hörst?

Es klärt etwas in mir, es verbindet sich etwas. Die wichtigsten Punkte für mich sind die Wiederentdeckung der Quellenlehre und die Erkenntnis, dass das Sterben einer Tradition letztlich eine Transformation ist, dass Integration geschieht. Verwechslungen brechen weg. Ich fühle Freude, wenn ich dir zuhöre, eine Freude, weil ich Lebendigkeit schmecke bei der Beschreibung des modernen Klosters. Es gibt Anbindung und gleichzeitig diese Lebendigkeit, das fordert meine ständige Wachheit und Verantwortlichkeit. Ich kann mich nicht ausruhen und angesichts gegebener Regeln in falscher Sicherheit wiegen.

Der paradoxe Weg ist nichts für Kinder. Wenn du dich anbinden willst, ist das gut. Aber im nächsten Moment wird dir gesagt, dass du loslassen musst. Wie vollständige Anbindung und Losgelöstheit zusammenwirken, ist im rationalen Bewusstsein, im denkenden Geist des Menschen nicht mehr erfahrbar, nicht erfassbar. Ich benutze verschiedene Koans auf dem paradoxen Weg, so auch diesen: Alleinsein in Gemeinschaft. Es gibt Gemeinschaften, die im Grunde Sektencharakter haben, wo es nicht um Alleinsein in Gemeinschaft, sondern um Gemeinschaft in Gemeinschaft geht. Das kann krasse Folgen haben, bis hin zum kollektiven Selbstmord. Aber es gibt auch ganz einfache, durchsichtige Beispiele, etwa wenn Menschen in einem kindlichen Bewusstseinszustand fixiert sind.

Sprich in einer geistigen Struktur, die Alleinsein gar nicht erfassen kann und auch nicht will. Alleinsein ist ein Zustand, der einem kindlichen Bewusstsein gar nicht zugänglich ist. Ein Kind kennt nur Einsamkeit oder Trost durch Gemeinschaft. Etwas anderes kennt ein Kind nicht. Alleinsein ist eine Form der Loslösung äußerer Bindungen bei gleichzeitiger Innenkehr – ohne Abtrennung äußerer Verbundenheit. Und von wo auch immer du es anschaust, wir treffen immer wieder auf die Beschreibungen der höchsten integralen Lehre, den intergralen Yoga, den ich in meinem neuen Buch ‚Spirituelle Meisterschaft – Lehrer und Schüler auf dem inneren Weg’ beschrieben habe.

Aus dem Klosterkurier – Jubiläumsausgabe 2020 S. 7 f.

0 Kommentare